Das moderne Berufsbild: Gaukler 2000
Es geht hier nicht um den Jahrmarktsberuf früherer Jahrhunderte. Gaukler 2000 ist ein 1.Klasse-Beruf unserer Medien- und Qualifikationsgesellschaft, ein moderner, faszinierender Beruf von heute für heute.
Nota bene: Der Gaukler ist kein Illusionskünstler. Er würde das jahrelange strenge Fingertraining eines „Zauberers“ nicht durchhalten. Denn Disziplin und Geduld sind keine Gauklertugenden.
Der Gaukler 2000 hat meistens für fünf Jahre die eine oder andere Hochschule besucht und grundsätzlich mehrere Fächer „studiert“: Philosophie, Politologie, Internationale Beziehungen, Jura, Psychologie und/oder Literatur. Zu all dem gehört auch ein meistens einjähriger USA-Aufenthalt. Nicht selten kann er auch eine kurze Assistententätigkeit bei einem Abgeordneten vorweisen. Später nistet er sich in einem der öffentlich finanzierten oder zumindest öffentlich gestärkten feineren Märkte ein: Kunst, Religion, Hochschule, Politik, Verband. Und noch später dockt er dann irgendwo in einem Großbetrieb an am liebsten als Manager für Kommunikation, für Ethik oder für eine der „Relations“-Sparten.
Vor Guttenberg trug er nicht schwer an seinem Doktor-Titel.
Ohnehin war ja kaum jemals aufgefallen, dass man in fünf Uni-Jahren keineswegs fünf anspruchsvolle Fächer studiert haben kann. Jetzt, nach Guttenberg, ist aber akademisches understatement angesagt. So spricht und schreibt denn der Gaukler 2000 nach bestem Wissen und Gewissen möglichst so, dass er fachlich nicht zu orten ist. Seine Magie beruht auf Wörtern und Begriffen, die lexikalisch nicht prüfbar sind. Seine Wörter, Begriffe und Weisheiten übernimmt er ohne Gewissensbisse von anderen Gauklern, konstruiert sie aber durchaus auch schon mal selber. Er nutzt seine Wörterfunde als Hülse für bedeutungsvolle, gern auch mysteriöse Inhalte. Wenn er es dabei allzu leichtfertig treibt, nennt man seine Produktion „Geschwurbel“. Anerkennung gibt es dagegen für „Visionen“, „Einschätzungen“ und „Gedanken“.
„Die Sexualisierung in unserer Gesellschaft nimmt grenzwertig zu!“,
„Die wirtschaftliche Dynamik fordert uns dramatisch heraus!“
„Die Zukunft ist so unsicher und unberechenbar wie nie zuvor!“.
„Die Menschen brauchen Führung, wir fragen nach dem Ziel!“
„Innovationsdruck ist die Geißel unserer Gesellschaft!“
Ansagen dieser Art waren zu allen Zeiten beliebte Einstiegsphrasen. Es sind Behauptungen, mit denen der Gaukler 2000 seinen Anspruch auf überlegene Urteilskraft klar macht. Sie dienen ihm auch als „Nickprobe“. Er weiß, ein geneigtes Publikum nickt ihm dann freundlich zu. Ein schwieriges Publikum stöhnt auf und wird unruhig. Da muss er dann nachlegen. Durch Verknüpfen mit einem passenden Feindbild kann er schließlich auch aufmüpfige Zweifler ruhig stellen.
Nach der Ansage folgt in der Regel allerlei Systemisches. Das sind meistens überraschende, jedenfalls ungewohnte Deutungen jüngster Skandale oder Schadensfälle. Von ihnen leitet der Gaukler dann mühelos über zu seinen Interessen, Wünschen, Forderungen, Lösungen und Produkten oder zu denen seines Auftraggebers. Sie sind allesamt garniert mit vollmundigen Heilsversprechen. Die Zuhörer dürfen sich dem Gefühl hingeben, der Vortrag habe sich gelohnt.
Ein Gauklerauftritt im Rahmen von Kongressen, Tagungen oder Konferenzen wird von heutigen Teilnehmern geradezu erwartet. Er gehört dazu und adelt die Veranstaltung. Bei weitem interessanter und aufregender sind die schick gewordenen großen und kleinen Gauklertreffen, auf denen sich die Zunft vor großer Kulisse zum Wettbewerb vor ausgewählten Multiplikatoren trifft. Szenarioplanung? Führungsexzellenz? Wettbewerbsethik? Boulevard-Akzeptanz? Megatrendprognostik? Jetzt heißt es aufpassen! Der Nachbar-Gaukler könnte da ein künftiges Klingelwort kreiert haben. Morgen schon wird daraus ein Muss-Wort geworden sein.
Da heißt es zugreifen und feilen. Denn so mancher Kollege hatte seinerzeit „Nachhaltigkeit“ erst einmal verschlafen und wundert sich heute, wenn ein leibhaftiger Staatsminister für Wirtschaft unwidersprochen und auch programmatisch verkünden kann: „Nachhaltigkeit bedeutet …., auf Investitionen und Innovationen zu setzen!“ Da würde der Nachhaltigkeitsmissionar Hans Carl von Carlowitz (1713!), ein sächsischer Oberberghauptmann, wohl entschieden widersprechen. Aber die Antwort lautet eindeutig: „Sprache wandelt sich! Dem Minister steht die Deutungshoheit zu! Er vertraut der Freiheit des Wortes!“ So jedenfalls antwortet unser Gaukler 2000.
Unser Autor
Georg M. Sieber, Jahrgang 1935, ist Diplompsychologe in München. 1964 gründete er sein Institut für Angewandte Psychologie, die Intelligenz System Transfer GmbH (11 Niederlassungen). Sein persönliches Interessengebiet sind die Schriften historischer Vorläufer der heutigen Psychologie, de Federico II., Machiavelli, Palladio, Ínigo López de Loyola u.a.
Für den fachlichen Austausch steht er gerne zur Verfügung: 089 / 16 88 011 oder per eMail:
Georg.Sieber [at] IST-Muenchen.de
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